Das Seelzer „Modern Sound[s] Orchestra“ nimmt am Deutschen Orchesterwettbewerb in Hildesheim teil.
HILDESHEIM Es ist so weit … der Dirigent hebt den Taktstock. In der Hildesheimer Halle 39 herrschte absolute Stille, alle Musiker sind aufs Höchste konzentriert. Jetzt heißt es, die vielen Übungsabende zu verdichten und alle einstudierten Details in den nächsten knapp 30 Minuten auf den Punkt abzurufen.
Die 57 Musiker des Modern Sound[s] Orchestra (MSO) mit ihrem Dirigenten Henning Klingemann haben sich in vielen Proben auf diesen Moment vorbereitet und dabei sämtliche Passagen der beiden Vortragsstücke registerweise seziert und Takt für Takt geübt, zunächst langsam, dann im Originaltempo. Nachdem das MSO aus Seelze bei Hannover im vergangenen Jahr zum ersten Mal beim Niedersächsischen Orchesterwettbewerb in der Kategorie der sinfonischen Blasorchester teilgenommen und auf Anhieb den zweiten Platz belegt hatte, wurden die Musiker für den Deutschen Orchesterwettbewerb zugelassen, der alle vier Jahre vom Deutschen Musikrat veranstaltet wird.
Es ist eines von elf Orchestern, die sich in der Kategorie Blasorchester in ihren jeweiligen Bundesländern für diesen bundesweiten Vergleich qualifiziert haben und dieser musikalische Wettstreit begann für das MSO am Himmelfahrtstag in der Halle 39 genau in diesem Moment, als der Taktstock nach unten saust und den Start des Wahlpflichtwerkes „Four Character Studies from Master Humphrey’s Clock“ von Malcolm Binney markierte.
Die Studien beschreiben Personen und Szenen aus Charles Dickens Literaturvorlage in einer Tonsprache, die an die Klangvorstellungen der Expressionisten des angehenden 20. Jahrhunderts angelegt ist. Hohe technische Ansprüche besonders an Trompeten, Cornette und die Holzbläser kennzeichnen das Werk; die Tonarten sind oftmals Blasorchester-untypisch, auch rhythmische Schwierigkeiten finden sich einige in der Komposition. Kaum war der letzte Ton dieses die beinahe unendlichen Farben und Klänge des Orchesters erforschenden Stückes verklungen, verharrten die Protagonisten mit ihren angesetzten Instrumenten noch eine kleine Ewigkeit, um den Schlussakkord des Werkes angemessen ausklingen zu lassen.
Der Wechsel der Noten ermöglichte den Musikern ein kurzes Durchatmen, bevor es dann mit dem zweiten Wertungsstück weiterging. Das MSO hatte sich dafür der Tondichtung „Diagram“ for Symphonic Band von André Waignein angenommen. Die „etwas andere Musik“ versteht sich als Versuch, ein Diagramm in Klang umzusetzen. Der Einleitungssatz, in welchem sich verschiedene musikalische Fragmente in immer schnellerer Folge ablösen, ist von einer geheimnisvollen Stimmung geprägt. Nachdem das Hauptthema vom Englischhorn vorgestellt und vom gesamten Orchester übernommen wurde, wandelt sich der mysteriöse Grundton, das Werk gewinnt an Kraft. Die von Horn und Tenorhorn gespielten ruhigen Akkorde leiten in eine Solopassage für Klarinette über, die die nächste Melodie vorwegnimmt. Das großartige Finale vereinigt alle Register des Orchesters und auch hier wurden die Instrumente erst abgesetzt, als der Nachhall des letzten Tones endgültig verklungen war und damit die Entscheidung über das Ergebnis nur noch in den Händen der hochkarätig besetzten Wertungskommission lag. Mit dem guten Gefühl, alle Möglichkeiten genutzt zu haben, verließen die Musiker schließlich die große Bühne in der Halle 39, um danach im Zuschauerraum Platz zu nehmen und die folgenden Blasorchester, die überwiegend mit dem gleichen Wahlpflichtstück angetreten waren, zu erleben.
In dem Jurygespräch, welches noch am selben Abend stattfand, wurden die Melodieführung, die technische Spielfertigkeit, das Dirigat und das gewählte Tempo bei dem Wahlpflichtstück gelobt, Verbesserungspotential wurde in der Transparenz und dem Mischen der Klangfarben der einzelnen Register gesehen.
Da auch am folgenden Tag Wertungen vorgenommen wurden, erfolgte die öffentliche Bekanntgabe der Ergebnisse erst am Samstag auf dem Andreasplatz. Mit 20,3 von maximal 25 Punkten und dem Prädikat „mit gutem Erfolg teilgenommen“ hat sich das junge niedersächsische Orchester zwar nicht an der Spitze des gesamten Teilnehmerfeldes platzieren können, die Erfahrung, bei solch einem bundesweiten Wettbewerb auf höchstem Niveau im Kreis der besten Laienorchester Deutschlands mit der bescheinigten guten Leistung dabei gewesen zu sein, entschädigt jedoch für das hohe Engagement und den großen Einsatz, den alle Musiker in der Vorbereitung gezeigt haben. „Dass große, traditionelle Stadtkapellen aus Süddeutschland Top- Wertungen erlangen, war uns im Vorfeld schon klar. Im niedersächsischen Vergleich dagegen so abzuschneiden, freut uns sehr“, so Vorsitzender Tom Kruse, denn das MSO konnte sich in der Gesamtwertung dieses Wettbewerbs noch vor dem amtierenden niedersächsischen Landesmeister, dem Sinfonischen Blasorchester Wehdel, platzieren.
(Thomas Jäger)